Organisierte Sitzung

Medizinischer Kinderschutz im Ruhrgebiet: Gesundheitsökonomische Evaluation und Vergütungs- sowie Finanzierungsmodellierungen zur Sicherstellung einer leitliniengerechten Versorgung in den verschiedenen Versorgungssettings

Der AWMF S3-Kinderschutzleitlinie wurde 2019 veröffentlicht. Diese sieht eine einrichtungs- und trägerübergreifende Kooperation verschiedener Akteure aus dem Gesundheitswesen sowie der Jugendhilfe vor. Im Rahmen des vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderten Projektes MeKidS.best (Förderkennzeichen 07NVF18001) wurde diese Kooperation aufgegriffen und erstmalig systematisch untersucht. Neben der klinischen fand eine gesundheitsökonomische Evaluation der neuen Versorgungsform statt. Die Ergebnisse stellen die Grundlage für die projektimmanenten, gesundheitspolitisch zielgerichteten Vergütungs- und Finanzierungsmodellierungen dar, die eine nachhaltige Etablierung der kooperativen Leistungserbringung über die Projektlaufzeit hinaus sicherstellen soll.

Vorträge

Medizinischer Kinderschutz im Ruhrgebiet: Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Evaluation im Projekt MeKidS.best
Sandra Diekmann, Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement (EsFoMed)

Einleitung

Im Projekt MeKidS.best wurden auf Basis der AWMF S3-Kinderschutzleitlinie einrichtungsinterne und -übergreifende Strukturen und Prozesse entwickelt (MeKidS.best Standards) und in die Praxis übertragen. Tätigkeiten, die der Einschätzung des Gefährdungsrisikos dienen und über die reine medizinische Versorgung von Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung (KWG) hinausgehen, werden bisher nicht vergütet. Ziel ist, Ressourcenverbräuche und Kosten von Verdachtsfällen von KWG zu erfassen. Dazu wurden Ressourcenverbräuche für die Versorgung von KWG Verdachtsfällen retrospektiv in 9 Kliniken (in Klinikambulanzen und stationärem Setting) fallbezogen anhand eines standardisierten Erhebungsinstruments ermittelt. Die Erhebung fand nach Einführung der MeKidS.best Standards über 24 Monate von 01/2021 bis 12/2022 statt. Für die Entwicklung des auf der Kinderschutzleitlinie basierenden Erhebungsinstruments erfolgten semistrukturierte Leitfadeninterviews mit Mitarbeitenden verschiedener Berufsgruppen und eine Befragung aller Einrichtungen. Preise wurden mittels strukturierter Recherche aus Perspektive des Leistungserbringers in € ermittelt. Insgesamt konnten 3.589 Fälle für die Analyse berücksichtigt werden. Von diesen waren 45% (n=1.609) ambulante Fälle. Von den stationär versorgten Fällen (n=1.980) hatten 52% eine Aufenthaltsdauer von 1-2 Tagen. In mehr als 75% der ambulant als auch stationär versorgten Fälle wurde eine Anamnese, ein Gespräch mit den Personensorgeberechtigten bei Aufnahme, ein interner fachlicher Austausch und eine fallspezifische Dokumentation, die über die übliche hinausgeht, durchgeführt. Diagnostische Leistungen wurden häufiger im stationären Bereich erbracht, eine Spurensicherung hingegen häufiger im ambulanten Bereich (14% vs. 4%). Die durchschnittlichen Kosten der ambulanten Fälle lagen zwischen 49€ (Minimum (Min.)) und 2.026€ (Maximum (Max.)) [Median: 334€], die der stationär versorgten Fälle zwischen 28€ (Min.) und 3.606€ (Max.) [Median: 540€]. Die Erhebung der Ressourcenverbräuche von Verdachtsfällen auf KWG im ambulanten und stationären Krankenhaussetting zeigt, dass es sich um eine sehr heterogene Gruppe von Fällen handelt. Dieses zeigt sich in der Inanspruchnahme von Leistungen und wirkt sich damit auch auf die Kosten aus. Aufgrund des sehr detaillierten Vorgehens in der Erhebung, können diese Ergebnisse Erkenntnisse für die Entwicklung von Finanzierungs- und Vergütungsformen des MKS in der gesetzlichen Krankenversicherung liefern. Die vorliegende Evaluation des Projektes MeKidS.best soll eine Diskussionsgrundlage für eine potenzielle Übernahme der neuen Versorgungsform in die Regelversorgung in Deutschland schaffen.

Medizinischer Kinderschutz im Ruhrgebiet: Vergütungsmodellierungen zur Sicherstellung einer leitliniengerechten Versorgung
Nikola Blase, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
Lara Kleinschmidt, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen

Einleitung

Die S3-Kinderschutzleitlinie sieht u.a. einrichtungs- und trägerübergreifende Kooperationen verschiede-ner Akteure aus dem Gesundheitswesen sowie der Jugendhilfe vor. Diese Strukturen und Prozesse fin-den in den Systemen der ambulanten und stationären Vergütung bisher unzureichend Berücksichtigung, was sich negativ auf eine flächendeckende Umsetzung des leitliniengerechten medizinischen Kinder-schutzes (LMK) auswirken könnte. Das MeKidS.best-Projekt zielte daher neben einer klinischen und ge-sundheitsökonomischen Evaluation auf eine Entwicklung nachhaltiger Finanzierungs- und Vergütungs-modelle ab, um einen LMK auch über die Projektlaufzeit hinweg sicher zu stellen. Die ambulante Vergütung in vertragsärztlichen kinder- und jugendmedizinischen Praxen und Kranken-hausambulanzen mit und ohne Sozialpädiatrischen Zentren wird, ebenso wie die der stationären Leis-tungserbringung hinsichtlich ihrer Berücksichtigung kinderschutzbezogener Leistungen zur Gefähr-dungseinschätzung analysiert. Zunächst werden Vergütungsmodelle entwickelt und schließlich ihre Eig-nung auf Grundlage von im Rahmen des Projektes erhobenen Ressourcenverbräuchen für die Versor-gung von Verdachtsfällen einer Kindeswohlgefährdung überprüft. Dabei werden zudem bezüglich ihrer Anreizwirkungen auf die Leistungserbringung in den verschiedenen Versorgungssettings dargestellt. Es bestehen verschiedene Vergütungsoptionen zur Abbildung eines LMK in den genannten medizinischen Versorgungssettings, die mit unterschiedlichen Anreizwirkungen verbunden sind. So löst z.B. die aufwandsspezifische Abrechnung kinderschutzbezogener Leistungen den Anreiz zu effektiver bedarfsgerechter Versorgung aus. Ein Anreiz zur kooperativen Leistungserbringung wird hingegen durch eine Vergütung entsprechender Versorgungsleistungen sichergestellt. Mit dem Ziel, die leitliniengerechte Versorgung von Kinderschutz-Fällen nachhaltig über die Me-KidS.best-Studiedauer hinweg zu gewährleisten, war die Entwicklung entsprechender Vergütungskon-zepte projektimmanent. Der Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Modelle und zeigt ihre mögliche Anreizwirkungen auf die Leistungserbringung auf.

Medizinischer Kinderschutz im Ruhrgebiet: Finanzierungsmodellierungen zur Sicherstellung einer nachhaltigen, leitliniengerechten Versorgung
Nikola Blase, Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen

Einleitung

Die Leistungserbringung des medizinischen Kinderschutzes nach der AWMF S3-Kinderschutzleitlinie sieht u.a. einrichtungs- und trägerübergreifende Kooperationen verschiedener Akteure aus dem Gesund-heitswesen sowie der Jugendhilfe vor. Die Zuständigkeiten im Rahmen der Versorgung finden sich dem-nach an der Schnittstelle zwischen ärztlicher Leistungserbringung im Rahmen des gesetzlichen Kranken-versicherungsschutzes und des Jugendamtes in der Finanzierungsverantwortung der Jugendhilfe. Das MeKidS.best-Projekt zielt neben der Evaluation der neuen Versorgungsform darauf ab, Finanzierungs- und Vergütungsmodelle zu entwickeln, um über die Projektdauer hinweg eine nachhaltige Etablierung des leitliniengerechten Kinderschutzes sicher zu stellen. Die Finanzierungszuständigkeiten der Trägersysteme bei der Erbringung von kinderschutzbezogenen Leistungen zur Gefährdungseinschätzung in vertragsärztlichen kinder- und jugendmedizinischen Praxen, in Krankenhausambulanzen mit und ohne Sozialpädiatrischen Zentren, ebenso wie die der stationären Leistungserbringung werden hierbei untersucht. Dabei wird sowohl die Ausgestaltung der Finanzierungsverantwortung als auch die Art der möglichen Zuweisung der Kosten zu den Trägersystemen berücksichtigt. Schließlich werden die Finanzierungsmodelle daraufhin überprüft, ob und inwieweit Anreizwirkungen für die Finanzierungsträger bestehen, auf die Versorgung Einfluss zu nehmen. Es existieren verschiedene Finanzierungsoptionen, die medizinische sowie die kooperative Leistungser-bringung mit der Jugendhilfe jeweils dem fünften Sozialgesetzbuch (gesetzliche Krankenversicherung), dem achten Sozialgesetzbuch (Jugendhilfe) oder beiden Sozialgesetzbüchern zuzuordnen, die mit unter-schiedlichen Anreizwirkungen verbunden sind. So löst z.B. die gemeinsame Finanzierungsverantwortung einen positiven Anreiz zur verstärkten Behandlungskoordination aus. Eine weitere Möglichkeit besteht über eine (Teil-)Finanzierung im Rahmen der Daseinsvorsorge. Insgesamt hängen dabei die Finanzie-rungszuständigkeiten eng mit den jeweiligen Vergütungssystemen in den unterschiedlichen Versor-gungssettings zusammen. Mit dem Ziel, die leitliniengerechte Kinderschutzversorgung über die MeKidS.best-Projektlaufzeit hinweg sicher zu stellen, war die Entwicklung von Finanzierungsmodellen studienimmanent. Die verschiedenen Ausgestaltungsmodelle der nachhaltigen Finanzierung werden ebenso dargestellt wie die sich daraus ergebenen Anreizwirkungen.